Philosophische Praxis und Beratung

Worauf beruht sie, wie sieht sie aus und worin liegen ihre besonderen Stärken und Chancen?

Bildung

An der Bildung wird, wie überall, gespart; wenn man aber anschaut, was Bildung für die meisten heute bedeutet, ist eher die Frage, ob wir dafür nicht zu viel ausgeben. Bildung wurde, etwa in den Universitäten, ökonomisiert, dem Massstab der Effizienz unterworfen. Nun wird damit aber gerade das Potential, das in einer guten, menschengerechten Bildung liegt, verschleudert. Langfristig wäre es gerade wieder eine Frage der Effizienz, zu einem offenen Bildungsbegriff zurückzukehren, wie er in der Idee der traditionellen Universität liegt und heute eher abseits der Universitäten gelebt wird (Philosophicum, Cusanus Hochschule). Der Mangel liegt nicht in fachbezogenen Ausbildungen, am Wissen, sondern in der Freiheit und Kreativität des geistigen Lebens. Es fehlt überall an Ideen, an Aufgeschlossenheit, an geistiger Beweglichkeit, an langfristigen und dennoch offenen Orientierungen, an Überzeugungen, die Vertrauen, aber keine Borniertheit schaffen. Auf welchen Grundlagen die Freiheit und Kreativität des geistigen Lebens beruht, kann uns niemand besser sagen als die Philosophie. Freilich nicht die Philosophie der Universitäten, sondern eine Philosophie, die zwar sicherlich in der Nähe der Wissenschaft, aber auch im Leben steht, nach dem Vorbild des Sokrates auf den Markt zurückkehrt und die Berührung mit dem künstlerischen Schaffen sucht.

Wirtschaft

Die Wirtschaft verlangt nach Beratung, in Führungs- und Kommunikationsfragen, in ethischen und ökologischen Fragen, in Fragen des Timings, der Analyse der gegenwärtigen Situation und der Frage nach einer längerfristigen, tragfähigen Ausrichtung usf. Verschiedene Wissenschaftszweige bringen die Leute hervor, die dieser Nachfrage zu entsprechen vermögen. Hierbei richtet sich das Interesse auch zunehmend auf neue, unkonventionelle Formen der Beratung. Z.B. werden Unternehmer anhand der Musik performativ für Führungsfragen sensibilisiert. Die Frage des richtigen Timings hat eine neue Wissenschaft generiert (Stuart Albert: Jetzt!). Manche Unternehmen ziehen gar Astrologen zu Rate.
Die Nachfrage ist also gross und gross auch das Angebot, diese Nachfrage zu decken. Wenn die Philosophie, wie ich sie verstehe, hier mit ihrem eigenen Angebot auftritt, so hat sie zunächst wohl einen eher schweren Stand. Denn sie bietet nicht das an, was man sich wünscht. Die Philosophie irritiert, wie ehemals Sokrates auf dem Marktplatz Athens. Selbst die Astrologie, die als Wissenschaft einen zweifelhaften Ruf geniesst, kommt der Nachfrage eher entgegen, insofen sie in ihren Aussagen unzweideutig ist und gewisse Entscheidungsfragen beantwortet, mit welcher Legitimität auch immer. Der Philosoph tritt als Störer auf. Er zerstört das Selbstverständliche. Angenommen, ein Unternehmen nimmt meine Beratung in Anspruch. Bald wird man feststellen, dass ich von gewissen Selbstverständlichkeiten des Wirtschaftslebens keine Ahnung habe. Ich stelle gewisse Fragen, die das offenkundig werden lassen. Entrüstung macht sich breit: Der hat ja keine Ahnung! Doch genau darin liegt schon eine erste Stärke. Man muss mir erklären, wie das üblicherweise funktioniert. Damit ist ein erster Schritt der Distanzierung geleistet. Warum machen das eigentlich alle so? Gibt es denn keine Alternativen? – Selbstverständlich kann ich und muss ich dabei nicht stehenbleiben. Es wird sich alsbald Gelegenheit auch für positive Impulse bieten. Aufgabe des philosophischen Beraters wäre es zumindest, die Ermöglichungsbedingungen, gleichsam das „Klima“ zu schaffen für die Entstehung innovativer, produktiver Ideen. Diese Aufgabe nimmt er ebenso sehr wahr, indem er Selbstverständlichkeiten in Frage stellt, wie indem er selbst Impulse und Denkanstösse gibt. Und die Arbeit vollzieht sich zugleich auf zwei Ebenen; auf der sachlich-gedanklichen Ebene und auf der persönlichen. Die Ermöglichungsbedingungen für Innovation und Produktivität liegen ganz entscheidend bei den einzelnen Individuen und deren Haltung. Von vielen Formen der Psychologie unterscheidet sich die Philosophie aber dadurch, dass sie die persönliche Ebene in keiner Weise von der Sachebene ablöst.

Indem die Philosophie also nicht einfach wie die anderen Beratungsinstanzen und -instrumente eine bestehende Nachfrage bedient, sondern diese Nachfrage zuerst einmal zum Nachdenken über sich selber bringt, leistet sie mehr als die anderen: Sie legt die Grundlage für echte Innovation und Kreativität.